<p>Ausgangsmaterial des <em>Sextetts</em> für Flöte(n), Klarinette(n), Klavier, Schlagzeug, Violine und Violoncello sind zweistimmig gesetzte Intervalle, die sich in langsamen Glissandi jeweils um einen Vierteltonschritt bewegen (so kann z. B. auf diese Weise aus einer kleinen Terz in Gegenbewegung eine große Sekund entstehen).</p><p>Daraus werden zwei Typen musikalischer Gestaltung abgeleitet:</p><p><em>1.) imaginäre Schwebungen</em></p><p>Jene Schwebungen, die zwischen den (höheren) Partialtönen dieser sich in langsamen Glissandi bewegenden Töne entstehen könnten, werden errechnet und das Ergebnis anschließend instrumentiert, wobei die "Grundfrequenzen" fast immer weggelassen werden. (Ein vergleichbares Verfahren wurde später im Orchesterstück Descendiendo angewandt.)</p><p><em>2.) in Vierteltonfortschreitungen ineinander übergehende tonal deutbare Akkorde</em></p><p>Hier wird eine Verbindung zu einem in Vergessenheit geratenen Bereich der Musikgeschichte hergestellt: zu Richard Heinrich Stein (1882 - 1942) und seinem 1909 formulierten Versuch, eine Theorie von streng tonal gebundener Vierteltonmusik zu entwickeln. Ein wesentliches Element des <em>Sextetts</em> ist die Unterbrechung, das Zerschneiden, das Abbrechen sowie das Einfügen von Elementen, die "Vergangenes" zitieren. Zuletzt überwiegen die perkussiven Elemente, die als "Abwesenheit von Tönen", als "Verlust von Tönen", verstanden werden.</p><p>Das <em>Sextett</em> entstand 1992 als Auftragskomposition des ORF und der Ersten Österreichischen Spar-Casse-Bank für Clemens Gadenstätter und das von ihm gegründete "Ensemble neue Musik Wien". 1996 wurde es formal völlig neu gestaltet.</p><p><em>Georg Friedrich Haas.</em><br /></p>