In Nach-Ruf...ent-gleitend... setze ich meine Auseinandersetzung mit den Intervallen der Teiltonreihe fort. Während in früheren Arbeiten die Tonhöhenstruktur vorwiegend durch Veränderungen der Instrumente determiniert wurde (umgestimmte Saiten der Streichinstrumente in der Kammeroper Nacht und im 1. Streichquartett, Umstimmen des Klaviers im Improvisationsstück NICHTS), wird in Nach-Ruf...ent-gleitend... die mikrotonale Intonation ausschließlich der Kontrolle der InterpretInnen überlassen.
Obertonakkorde (nur selten über den 11. Teilton hinausgehend) und Ausschnitte daraus bilden einen Kontrast zu eng stufigen, schwebungsreichen Fortschreitungen und Zusammenklängen.
(Schwebungen bilden meinem Verständnis nach nicht nur einen Gegensatz, sondern auch eine logische Konsequenz von Obertonklängen: Sobald zu einem Obertonakkord ein zweiter hinzutritt und die beiden Fundamentaltöne nicht in einem extrem einfachen Schwingungsverhältnis zueinander stehen, muss es allein schon aus mathematischen Gründen zu Schwebungen zwischen den höheren Teiltönen kommen. Aber auch, wenn nur ein einziger Obertonakkord gespielt wird, entstehen, bedingt durch die unvermeidbaren winzigen Tonhöhenschwankungen im Spektrum realer Instrumentalklänge zwangsläufig Schwebungen innerhalb der höheren Teiltöne. Diese Schwebungen, die den Reiz und die klangliche Qualität dieser Klänge wahrscheinlich mit verursachen, werden nun wie mit einer Lupe betrachtet und in den Vordergrund gestellt.)
Melodische Gestalten in temperierten Skalen (halb- und vierteltönig) bilden fremde Elemente dazu, Gesten des (Nach-)Rufens und des Entgleitens, als Einschübe gleichermaßen Appendix und Ikone, aus dem Schatten der Schwebungen heraustretend oder dem Zerbrechen der scheinbar statisch beharrenden Obertonakkorde nachfolgend...
Multiphonics der Rohrblattinstrumente als Deformation der Obertonreihe (oder vice versa die Obertonreihe als Deformation der Multiphonics?)...
Die Form ist in der an Alois Hába geschulten Technik der athematischen Kompositionsweise komponiert, nicht einem quasi architektonischen Plan gehorchend, sondern wie ein Lebewesen sich entwickelnd, das organisch wächst, ausschließlich durch das subjektive Empfinden des Autors bedingt.
Wo es sinnstiftende Intervallzusammenhänge gibt (z.B. das Gleiten von A zu As mit dem darauffolgenden Tritonussprung zu D — diese Tonhöhenkonstellation kehrt in unterschiedlichen Situationen wieder), werden diese als Zitat historischer Kompositionstechniken eingesetzt.
Georg Friedrich Haas.