Viel mehr, denn menschlicher Weise
Sind jene mit uns, die fremden Kräfte, vertrauet.
(Friedrich Hölderlin)
Mein Orchesterzyklus Sphären besteht aus sechs Stücken. Die ersten fünf Stücke entstanden in den Jahren 2001 bis 2005. Nach dem Tod meiner Frau im Januar 2006 habe ich einen sechsten Satz hinzugefügt. Der gesamte Zyklus ist Ursula Höller-Heidemann in Liebe und Dankbarkeit gewidmet.
Die sechs Sätze (Klangbilder) tragen folgende Überschriften:
- I. Wolkengesang
- II. Windspiel
- III. Erdschichten
- IV. Regenkanon
- V. Feuerwerk
- VI. Metasphäre
Innerhalb meines Oeuvres gibt es einige Werke (z. B. Mythos, Schwarze Halbinseln und Tagträume), die den Untertitel „Klanggedicht“ tragen. Dieser von mir geprägte Begriff weist auf das poetische Moment bzw. auf literarische Bezüge in diesen Werken hin, ohne dass von „Programmmusik“ – gegen deren hervorragendste Werke im Übrigen nicht das Geringste einzuwenden ist – die Rede sein kann und somit Zuordnungen zu Romantik oder Spätromantik durchaus deplaziert sind.
Allerdings ging und geht es mir als Komponist nie darum, Musik zur „Demonstration“ (von Strukturprinzipien, Klangeffekten etc.) zu benutzen. Wovon also kündet meine Musik? Sie kündet vor allem von Prozessen und Sphären des Erlebens (bereits 1971 habe ich mit Hinsicht auf die Gestaltung meiner elektronischen Komposition Horizont von „Erlebnisfeldern“ gesprochen). Meine Sphären knüpfen also nicht an die seit der Antike durch die Musikwelt geisternden Vorstellungen einer Sphärenmusik, gar einer Sphärenharmonie an, sondern – wenn überhaupt – eher an die naturphilosophischen Betrachtungen eines Empedokles, in denen die vier Elemente Luft, Wasser, Erde und Feuer eine zentrale Rolle spielten. Sie haben seitdem die Fantasie der Künstler bis in die unmittelbare Gegenwart hinein immer wieder angeregt und zu Neuschöpfungen inspiriert.
Als einer der zahlreichen heutigen Beträge zu diesem Themenkreis wäre z. B. der Gedichtzyklus „Wolken“ von Hans Magnus Enzensberger zu erwähnen. Aber zu solchen literarischen Manifestationen steht mein Werk in keinem direkten Bezug. Gleichwohl wirkte die Beschäftigung mit diesen Gedichten ebenso anregend wie die mit Peter Sloterdijks Hauptwerk Sphären, in dem der Metapher des „Dekantierens“, also des Umgießens alten Weins in neue Gefäße zum Zwecke der Auffrischung, eine gewisse Bedeutung zukommt. Nicht zuletzt hat auch der von Henri Bergson geprägte Begriff von der „Kugel- (oder Sphären-) Gestalt des Bewusstseins“ seit langem einen festen Platz in meiner Vorstellungswelt.
„Wenn es Wirklichkeitssinn gibt, muss es auch Möglichkeitssinn geben.“ (Robert Musil)
Dementsprechend geht es mir nicht um die möglichst realistische Schilderung außermusikalischer Phänomene mit den Mitteln der Musik, sondern immer um die Frage, wie sich meine persönliche Imagination oder Vorstellung von solchen Phänomenen in Musik ausdrücken lässt, ohne dass deren immanente Logik tangiert wird. Die Imagination (lat. imago: Bild) hat mindestens zwei wesentliche Eigenschaften: sie verhilft des „Gedankens Blässe“ zu Farbe und Plastizität, sie gibt der ziellos schweifenden Fantasie Richtung und Rahmen. Sie erzeugt Klangbilder, die – auch wenn sie von bekannten Erscheinungen ausgehen – nicht an diesen kleben bleiben, sondern sich je nachdem von diesen lösen, sie umkreisen oder in anderes transformieren. Sie zielen nicht auf ideologische Entwürfe, mit denen das Bestehende bestätigt oder negiert werden soll, sondern auf das In-die-Welt-Setzen unverwechselbarer Charaktere (mit all ihren unangepassten Eigenschaften).
Ich halte es für verzichtbar, auf die einzelnen Sätze der Sphären näher einzugehen, da zum einen die Titel für sich selbst sprechen, zum anderen individuelle Hörerlebnisse durch diese zwar angeregt, aber nicht kanalisiert werden sollen. Zum spezifischen Entstehungshintergrund des Werkes sei nur so viel gesagt, dass die ersten vier Klangbilder sich nicht zuletzt meinen regelmäßigen Aufenthalten in der oberitalienischen Alpensee-Landschaft und den damit verbundenen Natureindrücken verdanken. Bei dem von Anbeginn in den Zyklus eingeplanten fünften Stück („Feuerwerk“) handelt es sich um die orchestrierte Fassung eines Stückes für Kammerorchester, das ich im Jahre 2005 zum 75-jährigen Bestehen meiner Geburtsstadt Leverkusen komponiert habe. In die Textur des letzten Stückes („Metasphäre“) sind zwei Zitate eingeflochten: eine orchestrierte Version von „Tastengeläut“ aus meinem Klavierzyklus Monogramme sowie ein Ausschnitt aus dem 2. Satz des 14. Streichquartetts („Der Tod und das Mädchen“) von Franz Schubert.
York Höller, Köln, März 2008.